Rezensionen
Grenzgänger höchst willkommen geheißen
Horst Hollmann in NWZ am 05.09.2017
Mag sein, dass Grenzgänger derzeit argwöhnischer beäugt werden, als in anderen Zeiten. Musikalische Grenzgänger traf hingegen immer schon ein Misstrauen. Bach und Jazz, passt das? Klassik und Pop, geht das zusammen?
In der Lambertikirche fragen sich die Zuhörer: Luther-Choräle und Improvisationen auf der Hammond-Orgel, fügt sich das ineinander?
Und ob! Da können die Oldenburger den Schlagbaum ganz hoch ziehen.
Zum einen sind die fünf Sänger der Hannover Harmonists ein Ensemble, das A-Cappella-Gesang in hoch entwickelter Musikalität aufbereitet. Sie intonieren sauber und zwischen Bass und Altus ungeheuer sensibel. Sie verlieren auch in Ausflügen hinweg über vor 500 Jahren gezogene Musikgrenzen nie die Ordnung.
Zum anderen ist da der Jazzmusiker Lutz Krajenski. Er schaut weit hinaus in andere Regionen. Aber er entwickelt ein feines Gespür dafür, welche Grenzen in diesem gemeinschaftlichen Werk unter dem Titel „Ein feste Burg 2.0” nicht überschritten werden sollten.
Dem Experiment haftet schon nach Chanson und Missa „La Bataille” von Clément Janequin aus dem 16. Jahrhundert und Improvisationen über den Luther-Choral „Ach Gott, vom Himmel sieh darein” nichts Utopisches mehr an. Einzeln und zusammen laufen Sänger-Quintett und Organist keiner anbiedernden Mode nach.
Die Harmonists fügen Hymnen, Lamenationen und Lieder nach Luther-Texten zusammen. Sie wechseln die Räume zwischen Altar, Hinterraum oder Eingangshalle, sorgen für unterschiedliche Hörwinkel, laden zum Mitsingen ein. Und wenn sie die Choräle locker musikalisch aufbrechen, dann lugt dahinter Luther als jener Mensch hervor, der auch viel von „Wein, Weib und Gesang” hielt.
Natürlich kennt Krajenski das komplette Alphabet der Improvisationstechnik. Da zerhackt er halbe Noten in Achtel, dehnt, verkürzt, er verbiegt Zeilen und staut Rhythmen. Doch er mischt dezent eigene Gedanken ein, ehe er heftiger auch mal Gegenstimmen führt.
Das passt genau zu jener Zeit der mutigen Diskussionen, die Luther angezettelt hatte. Vielleicht traf der Reformator dabei ja nicht immer den angenehmen Ton.
So wie Krajenski, wenn er aus „tiefster Not“ nicht einfach zu Gott schreit, sondern mit einer aufrüttelnden Brummfrequenz sich in die Ohren der Hörer drängt.